Über die Berge: San Bernardino, San Gotthard, Furka
Die Passhöhe des San Bernardino war nicht mehr weit entfernt,
aber hoch. Beim Frühstück wurde mir gesagt, zwischen
zwei und drei Stunden müsste es zu schaffen sein, diesen
Zeitplan habe ich dann doch um fast eine ganze Stunde
überschritten. Also los; es war leichter als erwartet. Am
Anfang der Serpentinen wurde ich von einem Radfahrer
überholt,der freundlich grüßte. Die
Steigung habe ich zwischen 5 und 7% geschätzt und war im
kleinen Gang für mich noch zu bewältigen. So ging es
langsam aber sicher bergauf. Zwei, drei Haarnadelkurven, kurze
Verschnaufpause, ein Stück Film gedreht und die Fahrt ging
weiter. Da ich allein und sehr langsam nach oben gefahren bin, hatte
ich auch ausreichend Zeit, die schöne Berglandschaft zu
bewundern. Mit jedem bewältigten Höhenmeter gab es
neue Bilder, man schaut nicht mehr gegen den Berg, sondern ist auf
gleicher Höhe und sieht zum großen Teil hinter die
Hänge in von unten nicht sichtbare Täler.
![](../images/schweiz_121.jpg)
Passo del S. Bernardino Passhöhe 2065 m
Und dann war ich oben. Ob ich vor Stolz 10 oder 20 cm gewachsen bin,
ist nicht nachgemessen worden, gefreut habe ich mich sehr. Nachdem ich
mich auf dem Pass umgeschaut hatte, traf ich wieder auf den
Fahrradfahrer der mich am Eingang der Serpentinen überholt und
dabei sehr freundlich gegrüßt hatte. Richi hat er
sich vorgestellt und ich hatte auf einem Teilstück der Tour
einen Mitfahrer. Richi kannte sich gut aus, mein Ziel war Bellinzona
und so haben wir dann zusammen die Tour weitergeführt. Einige
Betonbauten, die mir schon im Steigungs-bereich aufgefallen waren,
konnte Richi mir erklären. Durch den San Bernardino
führt ein Tunnel und dieser Tunnel muss auch
entlüftet werden und diesem Zweck dienten die
Beton-türme.
Es ging jetzt endlos bergab. Wäre ich von Süden nach
Norden gefahren diese Steigung hätte ich sicherlich nicht
geschafft, denn laut meiner Karte liegt Bellinzona auf 242
Höhenmeter. Über 1800 Höhenmeter ging es
bergab mal steiler, mal weniger steil. Mittagessen wurde in Mesocco
eingenommen. Noch ein paar Einkäufe, dann weiter bergab. Kurz
vor Bellinzona mussten wir uns verabschieden. Richis Weg
führte in eine andere Richtung, und so fuhr jeder wieder seine
eigene Strecke. In unserem Gespräch habe ich Richi
gegenüber auch von meiner Internetseite erzählt.
Gefreut habe ich mich dann sehr, nachdem ich wieder in der Heimat war,
dass ich von ihm eine Nachricht vorfand. Dafür hier noch
einmal ein Dankeschön an Richi.
Noch eine kurze Strecke und auch ich hatte mein Ziel Bellinzona
erreicht. Am Bahnhof stand ein Wegweiser zur Jugendherberge. Sehr
schön, aber ein wenig versteckt, habe ich sie auch gefunden,
und Platz hatte sie auch noch. Nachteil der Jugendherberge, sie lag
direkt neben dem Bahngelände und im 30 Minuten Takt fuhren die
Züge immer quer durch unser Zimmer. Das Haus wurde gut
bewacht. Im Fremdenführer kann man nachlesen: Bellinzona,
Bewacherin bedeutender Handelswege.
![](../images/schweiz_122.jpg)
Festungsgemäuer in Bellinzona
Bellinzona, seit 1878 Hauptstadt des Kantons Tessin, war einst stolze
Bewacherin bedeutender Handelswege. Davon zeugt das System der
Befestigungsanlagen, welches sich aus drei Burgen zusammensetzt, die
untereinander durch Wälle verbunden sind.
Das Bild zeigt einen kleinen Teil der Anlagen , direkt an der
Jugendherberge. Der folgende Tag war als Pausentag eingeplant und wurde
auch so verwendet. Der Wettergott hat es nicht so gut gemeint: Ein sehr
schwüler Sonntag mit 38° im Schatten bei hoher
Luftfeuchtigkeit. Wir haben in der Herberge in Badehose, still vor uns
hin geschwitzt. Zum Abend wurde das Wetter freundlicher und der Montag
war wieder angenehm in Sachen Wetterlage.
Der nächste geplante Pass war der Gotthard. Bei klarem Himmel
ging es am Montag weiter dem Gotthard entgegen. Eine leichte Brise
wehte und wirkte kühlend. Also rauf auf den Sattel und den
Radweg suchen.
Schnell war er auch gefunden und Bellinzona Richtung Gotthard
verlassen. Glaubte ich... erst viel später habe ich
festgestellt, dass der Radweg richtig war, die Richtung aber falsch.
Ich war in südlicher Richtung unterwegs. 180° Kurve
und wieder zurück , noch einmal nach Bellinzona, aber diesmal
die richtige Richtung finden, den Weg zum Gotthard. Im
Reiseführer hatte ich schon vor langer Zeit von der alten
Gotthardstraße gelesen, diese Straße wollte ich
unbedingt befahren. Meine Hoffnung war, Airolo noch zu erreichen. Es
ist mir nicht gelungen, irgendwann kommt immer mal wieder die Zeit, wo
sich die Beine melden und dann muss der Wille gehorchen, in Faido war
es so weit und so habe ich auch dort ein Bett gesucht und gefunden.
Das Wetter blieb mir treu und so wollte ich nun den Gotthard schaffen,
aber nicht immer kann man seinen Plan einhalten (musste ich auch nicht,
war ich doch unterwegs allein), und so habe ich in Piotta die Bremse
angezogen. Schon von weitem war die Standbahn zu sehen und das habe ich
mir nicht nur aus der Ferne angesehen, sondern auch aus der
Nähe, und dann habe ich eine Fahrt gebucht. Im
Reiseführer ist zu lesen:
Die Fahrt mit dem Ritom-Bähnli bietet
Nervenkitzel: Die steilste Standseilbahn Europas scheint beinahe nach
hinten zu kippen, wenn sie die 88% Steigung von Piotta nach Piora
überwindet.
Dass ich mir das nicht entgehen ließ war
selbstverständlich. Dadurch bedingt musste der Gotthard noch
einen Tag länger warten, und ich übernachtete in
Airolo. Ein schönes Erlebnis sollte mir noch zuteil werden:
Bei einem gemütlich Bier vor meiner Unterkunft fuhr diese alte
Postkutsche vorbei, Fahrer und Beifahrer in Originalkleidung der
damaligen Postfahrer über den Gotthard nach Andermatt.
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Postkutsche in Airolo gesehen
Solch schöne Gespanne gibt es nicht mehr oft zu sehen, auch
das Posthorn hörte sich original an. Am späteren
Abend hat sich noch ein kleines Gewitter entladen und die Berge mit
Nebel und Wolken verhüllt
![](../images/schweiz_124.jpg)
Nach einem Gewitter bei Aiorolo
Der Gastwirt war Frühaufsteher und so konnte ich früh
auf die Strecke gehen. Auf gepflasterten und teilweise geteerten
Straßen ging es bergauf. Die Luft war angenehm durch das
abendliche Gewitter, und so kam ich gut voran. Über den
Gotthard führen zwei Straßen, die bereits
erwähnte alte Straße die im oberen Teil
„Val Tremola = Tal des Zitterns“ genannt wird und
eine neue betonarmierte Straße für schnelle
Motorfahrzeuge. So war der Verkehr auf der alten Straße,
verhältnismäßig gering, nur Radlfahrer und
ab und zu ein Motorrad oder ein Auto. Ich kam gut voran, die Sonne
wurde wärmer, und der Schweiß lief in
Strömen.
Anlage der schweizer Armee,
hier treffen alte und neue Passstraße zusammen
Dann hatte ich ein Erlebnis der besonderen Art. Ein Auto fuhr vorbei,
hielt an, und zwei Junge Menschen bewunderten die herrliche Landschaft.
Als ich näher kam, hatte der Mann es so eingerichtet,
daß wir uns auf der Brücke trafen und er erbot sich,
mein Gepäck mitzunehmen und am Gotthard abzuladen, damit ich
die 37 Haarnadelkurven leichter überwinden konnte.
![](../images/schweiz_125.jpg)
Val Tremola, Tal des Zitterns
Er hat sich ausgewiesen und im Gespräch erfuhr ich, er wollte
nach Bern, musste also über Hospenthal und den Furkapass
fahren. Da ich in Hospenthal in der Jugendherberge angemeldet war kamen
wir überein, dass er dort das Gepäck abstellen
sollte. Es stand in Reih und Glied auf der Bank als ich ankam. Nochmal
ein herzliches Danke.
Geschichtsträchtig ist diese Nord-Süd Verbindung
schon, so steht im Fremdenführer unter anderem:
Von 1615 an überquerte wöchentlich ein
Postbote des Pass, und ab 1840 fuhr täglich eine Postkutsche.
Selbst im Winter wurde der Pass offen gehalten. Über 100
Wegmacher und Schlittenknechte fanden dabei Arbeit.Im 18. Jh. wanderten
jährlich über 16.000 Kaufleute, Wallfahrer,
Naturforscher, Soldaten, Arbeiter, Abenteurer, Viehhändler und
Staatsmänner über den Pass, und eine Wanderung
über den Gotthard gehörte zum Pflichtstoff eines
jeden Bildungsreisenden. Die Veloroute führt sie durch das Val
Tremola (Tal des Zitterns), wo die mit Steinen gepflästerte
Straße mit 37 Haarnadelkurve fast 1000 Höhenmeter
überwindet. Ursprünglich wurde sie 1830 als
Kommerzialstraße für den Pferdewagenbetrieb gebaut.
Die neue Passstraße ist für schnelle Motorfahrzeuge
ausgelegt und führt in weiten, betonarmierten Windungen nach
Airolo. Beide Straßen sind Ausdruck der technischen
Möglichkeiten des Straßenbaus und der
Mobilitätsansprüche ihrer Zeit. Dies zeigt sich
insbesondere in ihrer unterschiedlichen Einbettung in die karge, alpine
Landschaft.
![](../images/schweiz126.jpg)
Passo del S. Gotthardo 2108 m
Zitiert aus "Veloland Schweiz Band 1 Nord-Süd Route", Seite
109.
Nun bin ich vor Begeisterung ein wenig abgeschweift. Aber die Tremola
zu befahren ist schon etwas besonderes, vor allem dann, wenn nette
Menschen das Gepäck übernehmen. Im oberen Teil hatte
ich ein kleines Problem, es kam noch ein Gewitter und meine
Regenkleidung war im Gepäck. Meine Kameras habe ich so gut wie
möglich vor dem Regen geschützt, fotografieren und
Filmen habe ich mich nicht mehr getraut.
Das Gewitter war nur von kurzer Dauer und schnell wurde es wieder
trocken. Die Talfahrt nach Hospenthal war nicht so schnell, denn auch
auf dieser Seite des Passes war die Straße zum
großen Teil gepflastert und somit holprig, denn das Pflaster
war deutlich älter als ich und hat in den Höhen auch
mehr Schnee und Eis erlebt. Die Jugend-herberge in Hospemthal war mir
schon vertraut, hier habe ich mit Martin 2001 schon geschlafen. Damals
wollten wir über den Furkapass weiter-fahren, leider war der
Pass über Nacht zugeschneit. An diesem Abend habe ich nur noch
ein paar Gespräche mit Bekannten und Verwandten
geführt und mich dann schlafen gelegt.
Die Nacht war ruhig und am anderen Morgen, der mit Sonnenschein begann,
war ich zu neuen Eroberungen bereit. Mein Gepäck habe ich in
der Jugendherberge gelassen, denn heute wollte ich den Furkapass
erleben. Der Himmel zeigte kein Wölkchen, der Tag versprach
warm zu werden, und der Berg war hoch. Auf der Karte hatte ich schon
mal nachgeschaut, der Pass wird mit 2431 m Höhenmeter
angegeben. Also, nicht lange zögern: Es gibt viel zu tun,
packen wir's an! In Richtung Realp habe ich dann das kleinste Dorf der
Schweiz kennen gelernt, „ZUM DORF“. Ist extra mit
einem Schild als das kleinste Dorf der Schweiz gekennzeichnet. Wenn ich
mich nicht verzählt habe, besteht der kleine Ort aus drei
Häusern. Der nächst größere Ort
ist dann schon Realp und ab hier heißt es dann auch schon
klettern. An einigen Stellen habe wieder meinen Altersbonus eingesetzt,
denn sehr schnell musste ich feststellen das ein Tag Pause zwischen den
beiden Pässen nicht nur meinen Beinen gut getan
hätte, der ganze Mann war doch noch ein wenig... na ja Sie
wissen schon.
![](../images/schweiz_127.jpg)
Die Ortschaft Realp, ab hier geht es wieder bergauf
Trotz der großen Anstrengung habe ich schöne Bilder
gesehen und auch mitgebracht, leider ist es nicht möglich, sie
alle hier zu zeigen, das würde den Rahmen sprengen. Langsam
und sicher ging es bergan, gegen Mittag hatte ich die 2000 Meter-
Grenze erreicht und habe eine Pause im Hotel Gallenstock eingelegt. Mit
dem Koch des Hotels hatte ich ein lustiges Gespräch. Wie mir
der Koch erklärte, war vor einigen Tagen ein älterer
Mann mit dem Fahrrad den Furka hochgekommen. Er wohnte in diesem Hotel.
Der Koch und ein Mitarbeiter des Hotels mussten dem Gast behilflich
sein die Treppe hoch in sein Zimmer zu kommen. Der Gast war 70 Jahre
alt. Mein Alter habe ich absichtlich nicht verraten, aber innerlich
habe ich mich gefreut dass ich die Tour noch fahren konnte.
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Hotel Galenstock
Vom Gallenstock konnte man die Passstraße einsehen und vom
weiten sah es aus, als wäre der Rest des Weges bis zur
Passhöhe schnell zu erreichen. Wieder ein Irrtum, es wurde
noch richtig schwer. Wie schon erwähnt war die Ruhepause einer
Nacht zwischen zwei Pässen zu wenig. Kurz vor dem Hotel
Furkablick hatte ich einen leichten Schwächeanfall, und so
beschloss ich, ab der Passhöhe umzukehren und auf den
Rhonegletscher zu verzichten.
![](../images/schweiz_129.jpg)
Am Furkapass, Hotel Furkablick 2431 m
Nachdem ich mich wieder einigermaßen erholt hatte, ging es
dann wieder bergab. Auch bei der Talfahrt war Vorsicht geboten. Auf der
Passstraße ist ein starker Verkehr und die Straße
selbst ist nicht sehr breit. Realp habe ich dann doch recht schnell
erreicht und auch hier noch eine kleine Erholungspause eingelegt ehe,
ich dann nach Hospenthal zurückgefahren bin. Nach einem guten
Duschbad ging es mir dann wieder besser, allerdings haben die Gelenke
und auch die Muskeln sehr geschmerzt, mein Körper war
sicherlich dicht an der Grenze des Möglichen angekommen und es
bedurfte einer Änderung meiner Tour. Ein Abendspaziergang,
etwas langsamer und etwas länger, aber sehr ruhig, hat mir
dann geholfen mich wieder besser zu fühlen. Dann bin ich
eingekehrt und habe gut gegessen und ausreichend getrunken. Die Nacht
habe ich tief und traumlos geschlafen, den anderen Morgen konnte ich
wieder ausgeruht und frisch begrüßen.
Gepäck ordnen, am Fahrrad befestigen, ein schönes
Frühstück einnehmen und dann wieder fahren. So endete
mein Versuch, mehrere Schweizer Pässe zu überfahren,
![](../images/schweiz_130.jpg)
wieder zurück in Realp
einen hatte ich noch vor mir, aber der war schon einmal von mir
bezwungen worden und jetzt in umgekehrter Fahrtrichtung wollte ich die
Schweizer Eisenbahn benutzen. Es geht weiter zum Oberalppass.
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